7. Februar 2016

Ich hab Wetter

Ich bin eine Geißel meiner eigenen Ansprüche, ein Sklave des Wettbewerbs, ein Getriebener des Winterpokals, ein Opfer des Ehrgeizes, ein Süchtiger nach Bewegung auf dem Rad.....

Der Morgen fängt ganz normal an, es herrscht entspanntes Treiben im Bad, meine Mädels machen sich für die Schule fertig, ich werfe einen ersten Blick aus dem Fenster, leicht feucht draussen aber kein Regen. Die ersten Gedanken an eine vormittägliche Ausfahrt nehmen in meinem Hirn Gestalt an. Die gestrige Ausfahrt wurde durch verschlissene Bremsklötze verhindert. Folgende Gedanken manifestieren sich im Verstand: "Zwei Tage nicht gefahren!" "Der Trailjunkie holt in der Winterpokalteamwertung auf mich auf!" Zack! Wettbewerbsmodus an! Ich lege eine Zeit fest, nicht später als halb neun darf es los gehen, zweieinhalb Stunden müssen heute drin sein, das sind 10 Punkte im Winterpokal, nicht genug, eigentlich, denn der Trailjunkie will an Karneval gefühlt von Samstagmorgen bis Montagabend auf dem Rad sitzen.
Sei es drum, noch kurz auf die Multifunktionswaage, Gewicht und Körperfett checken, könnte besser sein, ein Grund mehr aufs Rad zu steigen. Die Waage sagt auch 7 Grad und Dauerregen hoher Intensität voraus, so deute ich jedenfalls das Display, aber, hey, was kann eine Badezimmerwaage schon vom Wetter wissen??? Wird schon nicht so schlimm werden.

In der Küche angekommen, der erste Griff zum Handy, Facebook checken, Mails lesen, Whatsapp prüfen, Wetter analysieren.....Mist irgendwie hatte die Waage Recht! Verrückte Welt! Ein Blick nach draussen, da ist es trocken. Bringt eh nix, der Entschluß steht fest, gleich gehts aufs Rad.

8 Uhr, der frühe Vogel ist aus dem Haus, die Würmer in der Schule, Zeit zum umziehen. Die Klamotten von gestern liegen noch griffbereit, Regenjacke war eh geplant, wat mach ich mit der Hose? Bleibt es bei Thermohose oder lieber was Wasserdichtes?? Optimismus bestimmt mein Denken, also bleibt es bei der normalen Hose, ein paar Tropfen können der nix anhaben.

Kurz kommt mir dann doch ein Hinderungsgrund in den Kopf: übermorgen steht ein Laktatleistungstest an, "keine Aktivität zwei Tage vorher" hatte die Trainerin geschrieben, ABER der Zusatz "wenn notwendig dann nur leichte Aktivität" beruhigt mich, Pulskontrolle kann ich!! Und Aktivität ist notwendig!

8:40 Uhr, es wird Zeit, Klamotten an, Rad raus geholt, frisch geputzt und gepflegt steht es da, bereit Kilometer zu machen! Garmin an, los gehts! Die Route in meinem Kopf sieht heute viele befestigte Schotterwege vor, das ist dem kommenden Laktattest geschuldet, schön locker dahin pedalieren und die Natur genießen! Es fühlt sich alles perfekt an, nach drei Kilometern die ersten Tropfen, naja ehr Tröpfchen, pfffff, mir doch egal.

Es läuft, es macht Spaß, ich fühle mich sauwohl, die Diva läuft geschmeidig und leise, es ist wirklich perfekt!! Die Route führt mich über sandige Wege durch das Meinweg-Gebiet, Pfützen und Schlammlöcher umslalomisiere ich gekonnt, ich will mich ja nicht übermäßig einsauen.....äh ja....nicht wissend was noch kommen wird! Der Regen wird stärker...

Mittlerweile höre ich die Tropfen deutlich auf meine Regenjacke schlagen, das Verhältnis zwischen der Intensität des fallenden Regens und der Aufnahmefähigkeit des Bodens verschiebt sich zu Ungunsten des Bodens, bedeutet die Pfützen werden größer und die obere Bodenschicht der Wege matschiger. Ich merke es auch an den Beinen, die Vorderseite der Oberschenkel wird kühler, ein Zeichen dafür, dass die Hose Wasser aufnimmt. Doch ne Fehlentscheidung keine Regenhosen azuziehen? Egal es ist wie es ist und es ist gut wie es ist!

Ein weiteres Indiz für stärker werdenden Regen ist, dass die Tropfen spürbar an der Kopfhaut ankommen, nicht unangenehm aber ich merke es. Bei diesem Wetter begegnen mir nur noch ganz hart gesottenen Hundeführer und ein Reiter in voller Regenmontour auf einem stattlichen Kaltblut! Ich mag diese schweren, muskulösen Pferde. Für mich sind sie ein Symbol für Kraft, Stärke und Willenskraft und in gewisser Weise motiviert mich der Anblick.

Mein geplanter Weg führt mich in den Elmpter Schwalmbruch, ein wunderschönes Naturschutzgebiet, bestehend aus vielen Abzeigungen des Hauptbach, der Schwalm und aus großflächigen Brackwasser- und Sumpfgebieten, dass von befestigten Wegen durchzogen ist, theoretisch. Der starke Regen macht sich hier dadurch bemerkbar, dass der Pegel der Brackwasserflächen schnell um wenige Zentimeter steigt und dadurch die Wege teilweise überspült werden und sich viele Rinnsale bilden. Das der Boden in diesem Gebiet vom Wasser geättigt ist sollte jedem klar sein.

Jetzt komme ich an den Punkt, wo der Regen von oben und das Spritzwasser von unten sich richtig bemerkbar machen. Bis hier hin war noch alles gut, die Füße, geschützt durch wasserdichte Schuhe, trocken und warm. Die Beine noch halbwegs warm, Oberkörper durch die Regenjacke sowie so trocken und warm.

Als erstes spüre ich, dass meine Pobacken aussen kühl und feucht werden, erstens durch das von der Regenjacke ablaufende Wasser, zweitens durch das vom Hinterrad aufgewirbelte Wasser.....ach ja, ich vergass zu erwähnen, dass ich natürlich ohne Schutzbleche unterwegs war! Schutzbleche??? Pah! Die sind was für Warmduscher, Sonntagsfahrer, E-Bikefahrer.....apropos E-Bike, dürfen die bei Regen überhaupt fahren?? Weil wegen Elektrik und so....egal!

Bestand am Anfang der Tour noch die Möglichkeit, den Pfützen auszuweichen, ist das jetzt zwecklos und unmöglich, denn sie erstrecken sich über die gesamte Breite des Weges. Ey, was solls nasser geht nicht, also durch!

Meine Pobacken machten also jetzt Bekanntschaft mit dem kühlen Nass, aber das war ja noch nicht das Ende: durch das seitlich an der Regenjacke ablaufende Wasser und das vom Vorderrad aufgewirbelte Wasser, saugte sich Stück für Stück die Hose voll Feuchtigkeit, ich konnte spüren wie Zentimeter für Zentimeter die Hose von den Oberschenkeln abwärts von der kalten Flüssigkeit gesättigt wurden. Man sollte meinen, dass dieser Vorgang eine Lapalie ist und nicht erwähnenswert, aber wenn ich so intensiv im Flow bin und alle Sinne auf die Natur und das Radfahren geschärft sind, ist diese Empfindung um einiges verstärkt.

Einige werden jetzt denken: "Ist der bekloppt? Der fährt doch nur Fahrrad im Regen!" Stimmt, das alleine könnte schon Grund sein, an meinem Verstand zu zweifeln, aber genau diese Situationen sind es, in denen ich das Mountainbiken intensiv erlebe und nicht nur das, sondern auch die Natur um mich herum, die Gerüche, die Geräusche, die Farben, einfach alles. Für Außenstehende schwer nachzuvollziehen, denke ich.

Das Wasser war an meinen Knien angekommen und arbeitete sich weiter nach unten vor. Eklig wurde es erst, als die kalte Feuchtigkeit von der Hose in den Strumpf sickerte, gaaaanz langsam, Zentimeter für Zentimeter wurden die Strümpfe nasser und kälter. An dieser Stelle könnte man meinen, ich würde mich ärgern oder mich unwohl fühlen, nichts dergeleichen! Alles war gut! Selbst als das Wasser im Schuh angekommen war und ich fühlte wie sich der Schuh langsam mit Wasser füllte, alles egal! Ich hatte Spaß satt! Klingt komisch, ist aber so!

Die Kneippkur in den Schuhen, verlor ich aber nie das Ziel aus den Augen: 10 Punkte im Winterpokal, also zweieinhalb Stunden Bewegungszeit. Also die letzten 20 Minuten im Kopf geplant und gefahren. Hässlich, dass auf dem letzten Stück über freies Feld, der Wind schön von der Seite versuchte, mir das Vorderrad wegzudrücken, aber nicht mit mir, "ist das alles was Du drauf hast?" schreie ich dem Wind im Kopf entgegen.

Kurz vor der Haustür ein Blick auf die Stopuhr: noch 4 Minuten bis zur vollen halben Stunde, also mit quatschenden Schuhen noch zwei Mal um den Block gefahren um den letzten Punkt zu sichern! Bekloppt oder? Total bekloppt! Es geht beim Winterpokal um nichts! Man kann nichts gewinnen! Man kann nur sein Ego stärken und natürlich den Teamgeist!

Ziel erreicht, stand ich triefend nass und voller Dreck vor der Haustür. Wie komme ich jetzt da rein, ohne eine riesen Sauerei zu veranstalten! Geht nicht! Hier kommt mein riesen Vorteil zum tragen: ICH bin der Hausmann und ICH muss mich selber um den versauten Boden kümmern und ICH muss mich auch selber um meine versauten Klamotten kümmern, also schön ne feuchte Schlammspur von der Haustür zur Garage gezogen, das Rad durfte ja nicht draussen stehen bleiben, und dann von da aus schön in den Keller zur Waschmaschine alles versaut.

Frisch geduscht, mit nem Eiweißshake in der Hand fühlte ich mich glücklich und zufrieden. Für einige alles schwer nachzuvollziehen, für einige aber auch genau das, was sie selber fühlen. Dieser Beitrag ist aus einer Kurzschlußhandlung entstanden. Kurz nach der Tour, Gedanken noch frisch, das Erlebte noch greifbar gefühlt. Der Körper mit Endorphinen geflutet.

Ride on!

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