4. Juli 2015

Sarah Reiners - Manchmal zerplatzen Träume wie Seifenblasen

UCI World Series Marathon in Houffalize


Das Wochenende vor meinem ersten Marathon dieses Jahr und einem UCI World Series Marathon überhaupt, plagen mich Schmerzen im rechten Knie und Bauchschmerzen einer Blasenentzündung. Die Vorbereitung lief doch bisher so gut, warum musste jetzt so etwas dazwischen kommen?? Ich beschloss daraufhin nur noch mein lockeres Trainingsründchen mit meinen Holländern zu fahren. Am Ende der Woche wurden die Taschen noch schnell gepackt, damit am Samstagmorgen auch alles rennfertig war.

Der Rennmorgen: Ohhhhmann, viiiiel zu früh aus dem Bett, fertig gemacht und gefrühstückt. Ich fühlte mich selbst immer noch nicht richtig fit. Wie es auf dem Rad sein würde, konnte ich überhaupt nicht einschätzen. Ich hatte ja fast eine Woche nicht mehr drauf gesessen. Wie es laufen würde? Ich schätzte eher schlecht als recht:

Houffalize ist Belgien und belgische Marathons sind berüchtigt für ihren technischen Anspruch. Und es ist ein UCI Marathon und damit die „Champions League“, wie Markus es die Tage zuvor immer wieder genannt hat. Das sah man auch an der Starterliste… . Naja, und hinzu kam ja noch natürlich meine Gesundheit der letzten Tage. Trotzdem war das Ziel da.

Ich wollte mich für die WM 2015 im Grödnertal in Italien qualifizieren. Es musste also ein Top20 Platzierung her.

Nachdem mir die drei Jungs von so einem tollen Startberg aus Teer, wo ganz oft „Schleck“ und „Phil“ draufsteht, erzählt haben, dachte ich mir, den mal gleich fürs Aufwärmen zu nutzen. Dann weiß ich auch, was bei den ersten Metern im Rennen auf mich zukommt. Ich fand ihn äääußerst übel. Okay, nicht weiter drüber nachgedacht, es sollten ja noch 82 km folgen, wo sonst was passieren konnte.
Also ab in den Startblock. Das war eine meiner größten Ängste. Wie wird es wohl sein, nur mit Frauen zu starten? Sich nicht zwischen den Männern verstecken zu können? Fliegen dann die Ellenbogen? Ich hatte anscheinend noch ein Trauma aus vergangen holländischen Rennradrennen, wo wir auch in einem reinen Frauenfeld starteten. Aber es war Gott sei Dank tatsächlich noch angenehmer, als ein Start mit Männern. Die spurten ja in der Regel halsbrecherisch mit Testosteron vollgepumpt los, weil sie glauben, dass das Rennen nach dem ersten Berg zu Ende ist.

Also zusammengefasst, mein Start verlief äußerst gut und ich konnte in einem für mich relativ ruhigem Renntempo den Startberg erklimmen und als ca. 10. Frau in die erste Abfahrt gehen. Dann kam der nächste Berg und die zweite Abfahrt, die im Gegensatz zur ersten nicht so schlammig und spurig war, sondern eher einer Wurzeltreppe glich. Und dann kam ein „pffffff“… Nein, oder? Bitte nicht??!!? Warum? Warum ich? Warum jetzt? Warum heute? Das war´s also jetzt mit der WM Quali… Mhhh, was soll ich denn jetzt machen? Es waren ja erst 7km und 25 Minuten vorüber. Während meiner Gedanken Stakkato tanzten flogen alle anderen Frauen an mir vorbei. Alle weg. Die hole ich ja nie wieder auf, wenn ich jetzt hier anfangen zu wechseln. Hab ich ja ewig nicht mehr gemacht. Im letzten Jahr hatte ich immer Glück bei Wettkämpfen.

Okay, jetzt ist es halt so, WM Quali ist futsch, aber ich habe ja auch Geld für dieses Rennen bezahlt, also höre ich jetzt hier nicht nach 7 km auf!! Ich muss jetzt flicken!! Hinterrad raus, neuen Schlauch ausgepackt und dann. Ja, und dann hätte ich eigentlich mal ein paar Reifenhebel gebraucht. Wo waren sie? Achja, vergessen, heute Morgen. Liegen in der Garage. FU**. Versuchen wir es eben so. Mit Fingern? Geht nicht? Okey, mit Stöckchen? Find keins, bzw. brechen über. Eine andere Lösung muss her. Ich wusste, dass unser heutiger Betreuer Uller in der ersten Verpflegung bei etwa KM 15 auf uns wartete. Dann lauf ich halt zu ihm. Er hat schließlich zwei Laufräder dabei. Auf geht’s! Nach 200m fiel mir auf, wie lange das womöglich dauern würde, wenn ich diese fehlenden 8 km zu Uller auf Radschuhen mit Bike durch die belgischen Ardennen rennen würde. Vielleicht doch keine so gute Lösung. Schließlich wartet Uller ja nicht nur auf mich sondern, auch auf die anderen aus unserem Team: Markus, Markus, Felix, Klaus und Nik und muss danach weiter zur nächsten Feed- und Techzone. Aber trotzdem, stehen bleiben konnte ich nicht. Und fahren ja auch nicht. Also trotzdem per pedes weiter. Nach 2-3 km und ca. 25 Minuten kam ich endlich in den Besitz von Reifenhebern. Beim Wechsel flogen dann auch schon die ersten Männer an mir vorbei, die eine halbe Stunde später gestartet waren. Darunter waren Felix, Markus und Klaus. Meine Konkurrenz und meine Top20 Platzierung war meilenweit voraus und für mich uneinholbar. Machen wir also ein Trainingsründchen draus. Im eher begrenzten Renntempo ging es weiter. Das Hinterrad fühlte sich auch noch nicht so 100% gut gepumpt an, aber mehr ging leider mit meiner kleinen Pumpe nicht. Nik flog an mir vorbei. An der ersten Verpflegung angekommen, fuhr Uller mir quasi vor der Nase weg. Kurz danach ging es nach einer Straße rechts einen Waldweg hoch. Beim Runterschauen auf die Straße sah ich Markus von hinten kommen. Ich hatte mich schon gewundert, warum er nicht in der Nähe von Nik war. Ich fuhr den Berg noch etwas gemächlicher hoch, damit Markus mich schneller hatte und ich ihm mein Leid klagen konnte und fragen konnte, warum er nicht bei Nik war. Als Markus bei mir war, war mein Leid schnell erklärt. Markus konterte aber nur damit: „So, erstmal, du hast noch immer zu wenig Luft im Reifen. Der wird jetzt richtig aufgepumpt! Zweitens, an der ersten Verpflegung standen schon 5 Frauen, die anscheinend aufgegeben haben und drittens, habe ich eben schon 2 Frauen überholt!“ Ich wusste zwar nicht wo plötzlich diese 7 Frauen herkamen, aber meine Berechnung im Kopf ergab, dass ich dann „nur noch“ 8 andere einholen musste und es lagen ja auch noch 60 km vor uns. Das war eine enorme Motivationsspritze und wir fuhren dann zusammen im ordentlichen Renntempo weiter. Eine Stunden später: Eine Frau hatte ich noch am Straßenrand gesehen und überholt, aber sonst hatte ich keine mehr gesehen. Es ging dauernd steil bergauf, manchmal kaum fahrbar und dann wieder durch irgendwelche rutschigen, steinigen oder wurzeligen Abfahrten runter. Dauernd kamen wieder die Männer von hinten, schrien, bremsten quietschend und schlitterten links und rechts an mir vorbei, was mich dauernd völlig aus dem Konzept brachte. Meine Motivation fiel wieder ins bodenlose. Ich hatte keinen Bock mehr und die belgischen Kilometer machten sich auch langsam im Körper bemerkbar. Achja, und das Schlimmste: 37km war ja noch nicht einmal die Hälfte von 82. Nochmal mindestens so viel auf so eine Art Trails?? Nein! Bitte nicht! Ich schaffe das nicht! Irgendwann standen dann doch die 50 km auf meinem Tacho und es lief auch vom Profil wieder besser. Ich merkte, dass wir weiter und vor allem etwas schneller vorankamen. Eine Frau hatte ich auch nochmal überholt. Und dann noch eine und noch eine und vielleicht noch eine. Ich weiß es nicht mehr genau. Das Ziel war nicht mehr unerreichbar und auch die Chance doch noch unter den Top20 zu sein war nicht mehr winzig klein oder gar verloren. In der Ebene machte Markus mächtig Druck, wir konnten einige Plätze gut machen. Nun war ich nicht mehr die technisch schlechtestes im Feld, jetzt war aber das Problem, dass viele Trails einfach von den Fahrern der kürzeren Strecke blockiert wurden. Noch ein fieser knackiger Anstieg, der wirklich die letzten Kraftreserven aus dem Körper zerrte und dann waren es nur noch 4 km bis zum Ziel. Auf einem Wiesenweg, mit dem Kopf schon fast im Ziel, knallte es und mein Kopf lag im Dreck. Autsch! Maaaann! Was war das denn schon wieder?? Mein Kopf hatte anscheinend das meiste abbekommen. Helm und Brille waren völlig verrutscht. Sonst tat mir eigentlich nichts weh. Markus sah nach meinem Rad. Das sah weiterhin fahrbereit aus. Also war meine Aussage: „Komm, wir müssen jetzt irgendwie nur noch schnell ins Ziel.“ Und schon saß ich wieder auf dem Bike um die letzten 4 km hinter mich zu bringen. Endlich, ich hörte schon die Musik und dann kam die letzte Abfahrt hinunter ins Stadtzentrum von Houffalize und dort stand der Zielbogen. Wir waren im Ziel!! Ich habe es tatsächlich noch zu Ende gefahren. Allein aus dem Grund hätte ich vor Emotionsüberflutung schon heulen können. Ich bekam eine Flasche Iso in die Handgedrückt und hörte meinen Vater schon nach mir rufen: „Sarah, du bist 21.!“ Dann liefen die Tränen erst recht! Eine riesen Enttäuschung! Jede Platzierung wäre mir Recht gewesen, nur nicht die 21… Danke an alle für die aufmunternden Worte. Danke an Uller für die Betreuung. Danke an Markus, dafür dass du mich aus jedem Motivationsloch herausholen kannst und jede Menge Kräfte in mir mobilisieren kannst. Ich werde jetzt dieses Jahr nicht an der WM teilnehmen, ich habe aber gemerkt, dass meine Form stimmt und es gibt ja noch andere schöne Rennen in dieser Saison. Möglichkeiten zur Qualifikation einer Weltmeisterschaft werden sich im meinem Leben, denke ich, auch noch genügend bieten. Wer weiß, vielleicht sieht man sich ja nächstes Jahr in Frankreich!

Sarah Reiners

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